Interdisziplinärer Ansatz: Fallbeispiel Ost
Leipzig: Heilandskirche / Stadtteilzentrum "Westkreuz"
Eine bewegte Transformationsgeschichte hat die neugotische Heilandskirche im Leipziger Stadtteil Plagwitz hinter sich. Schon lange vor der Entstehung des jüngsten Projekts, des Stadtteilzentrums „Westkreuz“, wurde das Kirchenschiff in den 1980er Jahren durch den Einzug einer Zwischendecke geteilt: oben Gottesdienstraum, unten Kunstarchiv. Um 2010 verbanden sich der Wunsch nach baulicher Veränderung, die Idee eines „Campus“ für den Stadtteil und die Neustrukturierung der Gemeinden und Gottesdienststätten im Leipziger Westen zur Planung des 2024 vollendeten Stadtteilzentrums „Westkreuz“.
Engagierte Haupt- und Ehrenamtliche in der Gemeinde sowie Fördermittel aus verschiedenen Quellen machten die Transformation möglich. Durch die Öffnung der „DDR-Wand“ mit dem Einbau einer geschwungenen Treppe, die vom Eingang aus die Blickachsen nach unten und oben öffnet, verbinden sich Sakralraum und multifunktionales Stadtteilzentrum. Mit geistlichen, sozialen, kulturellen und politischen Angeboten sowie Kooperationen mit Akteuren aus dem Umkreis erhebt das Westkreuz nun den Anspruch, ein „Wohnzimmer für Plagwitz“ zu sein.
Visualisierung Heilandskirche Leipzig
Bild © Sakralraumtransformation (TRANSARA) / YouTube
Teilprojekt 1 _
Liturgiewissenschaft (kath.)
Hat der inhomogene Raum eine über das Funktionale hinausgehende 'spirituelle' Qualität bewahrt?
- Durch die neue, schwungvolle Treppenanlage ist nun zwischen beiden Ebenen eine Durchlässigkeit der Nutzung in beide Richtungen gegeben.
- Die variable Bestuhlung ermöglicht unterschiedliche Gestalten der Versammlung und Bewegungsabläufe im Raum.
Teilprojekt 2 _ Praktische Theologie (ev.)
Stadtteilzentrum im ‚Unterdeck‘, Sakralraum oben: Separation oder Interaktion?
- Die Umgestaltung von Zwischendecke und Treppe steht symbolisch für eine Öffnung der Kirchengemeinde, die selbstbewusst einen kirchlichen sozialen Ort in der säkularen Stadt anstrebt.
- Die umfangreiche Förderung des Umbaus, der Preis der Stiftung KiBa für das Raumkonzept und die Unterstützung durch politische und kulturelle Akteure im Stadtteil zeugen von hoher Resonanz und gesellschaftlicher Offenheit für die Idee.
Teilprojekt 3 _
Kunstgeschichte
Eine denkmalgerechte und innovative Raumlösung mit viel Nutzungspotenzial!
- Eine Wiederöffnung des neugotischen Kirchenraums, ohne die horizontale Tellung der DDR-Zeit zu verleugnen.
- Die neue zweiläufige Treppe, die in den Kirchenraum führt, hätte in ihrer Formensprache zeitgemäßer ausfallen können.
- Andererseits ist hier ein Ansatz des Weiterbauens umgesetzt, der sich einfühlsam in die Transformationsgeschichte reiht.
Teilprojekt 4 _ Architektur
Warum können wir nicht Unschärfen und Gleichzeitigkeiten zulassen, anstatt Trennungen gestalterisch zu manifestieren?
- Räumliche Teilungen, ob vertikal oder horizontal, ob beweglich oder starr, sind Ausdruck eines Ordnungswillens und einer territorialen Abgrenzung.
- Es geht um Macht und Deutungshoheit.
Teilprojekt 5 _ Immobilienwirtschaft
Der immaterielle Wert von Sakralbauten kann über erprobte kaufmännische Methoden quantifiziert werden.
- Kaufmännische Aspekte und Prozesse der Projektentwicklung wurden beim Prozessverlauf der Heilandskirche bisher eher „intuitiv“ und nur partiell mit einbezogen.
- Langfristig braucht es auf Seiten der Träger immobilienwirtschaftliches Knowhow und ausreichend personelle Kapazitäten.
Teilprojekt 7 _ Praktische Theologie (kath.)
Durch die Himmelstreppe fügt die Architektur ein ‚Zwischen‘ ein. Verändert sich dadurch die Performation von ‚sakral‘ und ‚profan‘?
- Das Objekt Heilandskirche kann die Relationierung zwischen sakral und profan diskutieren helfen und fügt mit der Treppe ein ‚Zwischen‘ bzw. einen Übergang (hebräisch pesach) ein.