Im Wechselspiel hybrider Kirchennutzung
Sakralraumtransformation im säkularen Kontext
Teilprojekt 2 Praktische Theologie, Universität Leipzig
Ausgangspunkt der Forschung von Teilprojekt 2 an der Universität Leipzig war die Beobachtung, dass sich im ostdeutschen Raum viele hybride Nutzungsformen finden. Der Begriff der Hybridität wird im Kontext von Sakralraumtransformation in vielfältiger Weise verwendet. Wir meinen damit mehr als Multifunktionalität und weniger als eine besondere Ausprägung von Religion, sondern ganz funktional: Kirche geht Nutzungspartnerschaften mit Bildungseinrichtungen (Schulen, Universität, Kitas), Diakonie (Einrichtungen, Stadtteilzentrum), Tourismus oder politischen Akteuren (Kommune) ein oder entwickelt selbst neue Nutzungen, die nicht-religiöse Praktiken in die Räume holen.
„Kirche soll Kirche bleiben“ – das ist vielen Akteuren in Ostdeutschland wichtig, auch wenn die Institution Kirche hier aufgrund der fortgeschrittenen Minderheitssituation weniger Ressourcen hat. Hybride Nutzung findet eine hohe Akzeptanz und wird als Zukunftsmodell wahrgenommen. Daher lohnt es sich, die damit verbundenen Aushandlungsprozesse zu analysieren.
Wenn man sich einen Raum teilt: Simultaneität
Nutzungslogiken im selben Raum werden spannungsreich ausgehandelt.
Zu beobachten: Versuche, eine Logik als die dominante zu etablieren.
Weitere Beispiele: Kirchen am Wege: Fahrrad-, Pilger- und Autobahnkirchen, Kultur- und Veranstaltungsraum, Mitnutzung durch Schule etc.
Zum Weiterlesen: Aufsatz von Kerstin Menzel, Einrichten ist Aneignen
Herüber und hinüber:
Separation
Unterschiedliche Nutzungslogiken treffen an den Trennlinien aufeinander.
Diese erweisen sich als chancenreiche und schwierige Membranen.
Weitere Beispiele: Stadtteilzentrum in einem Teil des Gebäudes, Einbau von Räumen für Gruppen und Vermietung, Einbau Kita / diakonische Einrichtung
Von außen nach innen:
Anlagerung
Neue Nutzungen im direkten Umfeld der Kirche verändern/ vitalisieren auch die Nutzung der Kirche.
Die Kirche im Zentrum prägt den Charakter der angelagerten Nutzung.
Weitere Beispiele: Backofen & Bildungswerkstatt auf dem Pfarrhof, Campus mit Caritas-Einrichtungen
Und es bleibt doch etwas:
Ablösung
Formal endet die kirchliche Nutzung durch Verkauf. Säkulare Akteure übernehmen die Trägerschaft.
Dennoch: Der Raum mit seinen sakralen Elementen wirkt auch in der neuen Nutzung weiter.
Weitere Beispiele: Kletterkirche, Coworking Space, Umnutzung zu Wohnungen oder Archiv
Praktiken im Raum
Wechselspiel: Soziales (Theologie, Kirchenbild) prägt sich in Materialem (Raum, Objekte) ein und wirkt wiederum auf die sozialen Praktiken zurück.
Besonders menschliche Grundvollzüge – wie Essen, Schlafen, Helfen – gewinnen im Kirchenraum eine besondere Qualität.
Schlafen in der Kirche...
...in Rom (Gemälde von Philipp von Foltz, 1836)
...und in der Her(r)bergskirche in Neustadt am Rennsteig.
Aushandlungsprozesse…
… finden zwischen unterschiedlichen Akteuren statt. Auch der Raum selbst partizipiert an diesem Prozess.
… zeigen sich auch nach Abschluss von Umbau bzw. Umnutzung zwischen den unterschiedlichen Akteuren und ziehen sich konflikthaft durch die Akteursgruppen: „Die Gemeinde“ oder „der neue Träger“ sind z.B. keineswegs eindeutig in ihrer Position.
… enttäuschen nicht selten die Hoffnungen auf Synergie oder Symbiose zwischen den Akteuren. Die unterschiedlichen Logiken haben ihre je eigene Dynamik.
„Sakralraum“ – evangelisch?
Evangelische Theologie tut sich traditionell schwer mit der Rede von „sakralen“ Räumen: Erst der Gottesdienst heiligt den Raum und nur im Vollzug. Doch diese funktionale Reduktion des theologischen Verständnisses von Kirchenräumen gilt es zu überwinden.
Nicht nur ist kirchlich-religiöse Praxis in Kirchenräumen vielfältiger als nur Gottesdienst. Auch wo alltäglichere Praktiken in die Kirchenräume einziehen, ergeben sich Formen von Religion und Kirche in neuer Weise.