Universität Bonn

Transformationslandschaften_DE

Mönchengladbach-Rheydt,
ehem. Friedenskirche

 „Wohnen unter einem Dach“

Baujahr: 1864-1866
Wideraufbau: 1954 mit Einbau von Gemeinderäumen
Architekt: Maximilian Nohl (1830-1963), Ewald Landmann
Denkmalstatus: 
Ja

Umbau: 2001
Architekt:
Wolfgang Wefers
Entwidmung:
1998
Verkauf: 1998

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© TRANSARA

Ursprüngliche Konfession: evangelisch

Trägerschaft / Eigentümer: Kreisbau AG, Mönchengladbach

Lage / Adresse: Hauptstr. 261, 41236 Mönchengladbach-Rheydt
Die Kirche befindet sich erhöht im Zentrum vom Stadtteil Rheydt, 900 m vom historischen Marktplatz entfernt, auf dem heute noch die ev. Hauptkirche von Rheydt steht.


Bau

historistische Backsteinkirche mit hoher Kirchturmfront

Transformation

Soziales Wohnen unterm Glasdach

Die evangelische Friedenskirche in Mönchengladbach-Rheydt gehört zu den frühesten umgenutzten Kirchengebäuden Nordrhein-Westfalens. Der 1998 erfolgte Verkauf des Kirchengebäudes für eine symbolische D-Mark an die Gemeinnützige Kreisbau AG in Mönchengladbach machte damals Schlagzeilen in der regionalen Presse. Die Kirchengemeinde wollte den Bau aufgrund fehlender Mittel für Sanierung und Unterhalt aufgeben und sich mit Gottesdienst und Seelsorgearbeit auf die ebenfalls historistische Hauptkirche am Markt in Rheydt konzentrieren.

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Inneres © TRANSARA

Interessant ist, dass die Friedenskirche bereits beim Wiederaufbau in der Nachkriegszeit eine Teilumnutzung mit architektonischem Einbau erfahren hat: In das westliche Seitenschiff wurden 1954 zweigeschossige Büroetagen eingebaut, die Gemeinderäume aufgenommen haben.

Dieses hybride Konzept wurde bei der kompletten Umnutzung und Umbau zum Mietshaus mit 18 Sozialwohnungen 2001 aufgegeben und musste einem dreigeschossigen Innenausbau mit Galerien weichen.

„Wir wollten die Straße in den Kirchraum holen“

Der Vorstandsvorsitzende der Kreisbau AG erklärt das Vorhaben im Rückblick folgendermaßen: „Wir wollten die Straße in den Kirchraum holen.“ Das Sozialwohnungsprojekt konnte durch eine großzügige Förderung vom Land NRW sowie der Stadt Mönchengladbach umgesetzt werden. Inzwischen läuft das Kirchenwohnprojekt seit 23 Jahren – die Wohnungen sind auf dem Markt heiß begehrt, und es gibt Wartelisten.


Raum

Außen Kirche – innen Geschosswohnung

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Außenansicht von Norden © TRANSARA

Die Diskrepanz zwischen der sakral anmutenden Außenhülle des Gebäudes und dem Inneren mit dreigeschossigen Wohnhausfluren ist groß. Auch wenn die Kirchenwände bereits beim Wiederaufbau 1954 durch größere moderne Fenster geöffnet wurden, zeigt der Außenbau inklusive der Eingangsfront mit dem hohen Kirchturm nach wie vor die für diese Region typische Gestalt einer historistischen Backsteinkirche.

Diese Beibehaltung der sakralbaulichen Kubatur ist nicht allein in den denkmalpflegerischen Auflagen begründet, sondern erfolgte auch aufgrund der Vorstellungen des neuen Eigentümers, der das soziale Wohnen in eine kirchliche Hülle verpacken wollte. Des Weiteren gab es auch städtebauliche Wünsche der Kommune, die das Kirchengebäude in seiner „Originalgestalt“ erhalten haben wollte.

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Querschnitt durch das Gebäude, Zustand 1954 © TRANSARA
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Querschnitt durch das Gebäude, Zustand 2001 © TRANSARA
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Inneres mit Blick auf den geöffneten Stahldachstuhl der 1950er Jahre © TRANSARA

Aus heutiger denkmalpflegerischer Sicht ist es allerdings bedenklich, dass die erste gravierende bauliche Transformation, der Wiederaufbau der stark zerstörten historischen Kirche 1954 in modernen Formen, beim zweiten Umbau zu Sozialwohnungen 2001 so gut wie gar nicht berücksichtigt worden ist. Lediglich der stählerne Dachstuhl wurde aus dieser Zeit erhalten und eine Gedenktafel zeigt ein Foto des Kirchenraums aus dieser Zeit.

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Gedenktafel mit der bewegten Baugeschichte: oben rechts der Kirchenraum im 19. Jh., unten links der Kirchenraum nach dem Wiederaufbau 1954 © TRANSARA

Sakral

Sozialer Schutzraum für privat

Obwohl die Friedenskirche bereits seit über 25 Jahren offiziell keine Kirche mehr ist, erscheint sie dennoch im Stadtbild als Sakralbau. Für die Bewohner*innen ist es ein Gemeinschafts- und Schutzraum, mit der Rückzugsmöglichkeit in die private Wohnung. Für die Besucher*innen ist es kein öffentlicher Kirchenraum mehr. Nur die Außenfassade sowie einige Relikte im Inneren wie eine Kirchenbank oder ein Tympanon über dem Zugang zum Kirchturm mit dem Christuszeichen sind Hinweise auf die frühere Nutzung.

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Kirchturm © TRANSARA
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Kirchenbank © TRANSARA
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Tympanon mit Christuszeichen über dem Eingang zum Kirchturm © TRANSARA

TRANSARA-Perspektiven

Es handelt sich um ein frühes Beispiel einer Umnutzung, bei dem der denkmalpflegerische Erhalt der Bausubstanz den sozialräumlichen Mehrwert des Gebäudes dominierte. Folglich besitzt das Umbauprojekt heute keinen Aspekt mehr, auf den man – auch aus abstrakter Perspektive – liturgiewissenschaftlich Bezug nehmen könnte. Der ursprüngliche Versammlungscharakter wurde dem Raum durch die pragmatisch geleitete Wohnumnutzung - wenn auch mit sozialem Anspruch - vollständig genommen.

Eine pragmatische Ablösung der alten sakralen durch eine neue säkulare Nutzung. Interessant sind aus einer an Hybridität interessierten Forschung vor allem die Grenzpraktiken: die Straße, die in den Kirchenraum hinein verlängert ist, die Wahrnehmung der Bewohner:innen, wenn sie von außen an „ihr“ Haus kommen, die Zuschreibungen von außen im Blick auf den erhaltenen Bautypus.

Der Totalausbau der umgenutzten historistischen Backsteinkirche zu Sozialwohnungen hat radikal den Kirchenraum verändert bzw. ihn durch den Einbau der Wohnungen in seiner Erlebbarkeit verschwinden lassen. Nach außen wiederum ist an der Kirche die neue Wohnnutzung architektonisch nicht erkennbar, was den gestalterischen „Mehrwert“ des Wohnens in der Kirche mindert. Die denkmalpflegerischen Kompromisse der Substanzerhaltung und der Erinnerungskultur sind nur teilweise und halbherzig umgesetzt, so dass die Außen- und Innenwirkung unentschlossen und sehr pragmatisch wirken.

Die pragmatische Umnutzung legitimiert sich zunächst einmal durch seinen ressourcenschonenden Umgang mit vorhandener Bausubstanz. Da es sich beim
Ursprungsbau nicht um eine besondere oder einmalige Architektur handelt, sind die radikalen Eingriffe durchaus gerechtfertigt und angemessen. Dennoch ist die Qualität des eingestellten Wohnungsbaus sowohl räumlich als auch baulich relativ banal und nicht gut gelungen. Hier wäre eine innovativere Umnutzung mit
neueren Wohnformen und Grundrissen dem Baukörper eher gerecht geworden. Insofern liegt in dem zunächst richtigen, interessant anmutenden Ansatz eine vertane Chance, hier eine Win-Win Situation zu schaffen: Einen alten Kirchenbau mit neuen Formen des Wohnens innovativ zu kombinieren.

Aus Sicht der Immobilienwirtschaft ist mit der Friedenskirche ein erfolgreiches Umnutzungsprojekt gelungen. Die frühere Kirchengemeinde und weitere Stakeholder wurde in den Prozess aktiv mit einbezogen, ihre Bedürfnisse und Wünsche wurden angemessen berücksichtigt. Der Umnutzungsprozess erfolgte iterativ und es wurde deutlich, dass sich Meinungen und Ansichten während einer Umnutzung durchaus stark abwandeln können. Besonders hervorzuheben ist in diesem Fall die Bedeutung von symbolischen Gesten - bspw. den Erhalt einer einzelnen Kirchenbank - sowie gegenseitiges Entgegenkommen bei finanzwirtschaftlichen Sachverhalten. Auch die Geschichte des Gebäudes wird durch einzelne Elemente der früheren Nutzung erzählt und aktiv im umgenutzten Raum (bspw. durch Bildtafeln, Ornamente etc.) zur Schau gestellt.


Links und Literatur

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