Mönchengladbach-Waldhausen,
Kletterkirche
Neue Perspektiven
Baujahr: 1932-1933
Architekt: Clemens Holzmeister
Denkmalstatus: Ja
Ehem. kath. Filialkirche "St. Peter" der Pfarrei St. Peter in der GdG St. Peter - Mgb-West im Pastoralen Raum „Mgb-Nord/West“
Umbau: 2009-2010
Architekt: Ledwig + Spinnen Architekten, Mönchengladbach
Profanierung: 2007
Verkauf: Nein
Ursprüngliche Konfession: katholisch
Eigentümer: Pfarrei St. Peter
Trägerschaft / Betreiber: Kletterkirche Mönchengladbach GmbH
Lage / Adresse: Nicodemstraße 36, 41068 Mönchengladbach-Waldhausen
Gelegen im nordwestlichen Mönchengladbacher Stadtteil Waldhausen (Stadtbezirk Nord)
Bau
Dreischiffige, flachgedeckte Basilika aus kubischen Baukörpern in axialsymmetrischer Anlage
Transformation
Wo einst Gottesdienste gefeiert wurden, können sich schon seit Längerem ambitionierte Kletterer, Einsteiger und Freizeitsportler ihrer Leidenschaft hingeben: 2010 eröffnete in St. Peter in Mönchengladbach die erste Kletterkirche Deutschlands. Hierzu wurde der ehemalige Kirchenraum mit reversiblen Einbauwänden ausgestattet, die eine Zäsur zwischen Mittel- und Seitenschiffen bilden und auf einer Fläche von 1300 qm Klettermöglichkeiten bis in 13 Meter Höhe bieten. Darüber hinaus steht ein Kursraum zur Verfügung, der von Interessierten für die Durchführung von Workshops, Meetings oder Sportkursen (Yoga, Pilates etc.) angemietet werden kann. Die Eröffnung eines Gastronomiebetriebs im Eingangsbereich und der Einbau von Sanitäranlagen in der früheren Sakristei komplettieren die Neunutzung des Gebäudes, die sich auch im Außenraum bemerkbar macht: Bei schönem Wetter lockt ein großer Außenboulder zum Klettern unter freiem Himmel.
Mehr als Klettern
Die Betreiber der Kletterhalle, die das Gebäude für 25 Jahre gepachtet haben, verstehen diese als Begegnungsstätte, als einen Ort, an dem „Alt und Jung, Groß und Klein“ zusammenkommen können. Zuschauer sind jederzeit willkommen und können etwa vom Gastronomiebereich aus bei einer Tasse Kaffee und Kuchen am sportlichen Auf- und Ab in der Halle aus sicherer Entfernung teilhaben. Und auch die katholische Kirche selbst nutzte bereits das Kletterangebot: mit Firmgruppen wurde hier das ‚solidarische Emporsteigen‘ erprobt.
Raum
1933 errichtet, bildet das rot verklinkerte Kirchengebäude mit seinen flügelförmigen Annexbauten und einer dreigeteilten Turmanlage im Osten eine städtebauliche Dominante. Der Altarbereich der nach Westen ausgerichteten Kirche liegt um sieben Stufen erhöht und nimmt die gesamte Breite des flachgedeckten Mittelschiffs ein, das von schmalen Seitenschiffen begrenzt wird. Ornamentale Glasfenster der Künstler Anton Wendling und Josef Hötges prägten den Innenraum des seit 1987 unter Denkmalschutz stehenden Gebäudes, das als verkürzte Wegekirche („kurze Anlage“) von Clemens Holzmeister konzipiert wurde und mehr als 600 Gläubigen Platz bot. Einen besonderen Stellenwert hat das Gebäude auch deshalb, weil es einer von lediglich zwei erhaltenen Kirchenbauten des österreichischen Architekten in Deutschland ist. Holzmeister realisierte ursprünglich mehr als 30 Kirchenbauten und gehört zu den bekanntesten Architekten seiner Zeit.
Fortbestand der Baukonstruktion und Erinnerungskultur
Nach anfänglichen Überlegungen einer Nutzung des Kirchengebäudes für Wohnzwecke, die kaum ohne größere bauliche Einschnitte ausgekommen wäre, fanden im Rahmen seiner Umnutzung zur Kletterhalle keine schwerwiegenden Änderungen in der ursprünglichen Baukonstruktion statt.
Im Eingangsbereich erinnert eine Galerie mit Fotografien an die Zeit vor der Transformation.
Sakral
Obwohl mit ihrer Entwidmung im Jahr 2007 die sakrale Nutzung der Kirche St. Peter endete, befinden sich einige der liturgischen Ausstattungsstücke bis heute vor Ort. Dazu zählen neben dem Taufbecken von Clemens Holzmeister in der östlichen Rundapsis etwa die Kirchenbänke im Mittelschiff, die mittlerweile als Ablage dienen. Auch der Ambo verblieb an seinem ursprünglichen Aufstellungsort, während Altar und Tabernakel im Rahmen der Profanierung entfernt und in einem ,Kapellenraum‘ im Turm der Kirche untergebracht wurden. Dieser steht der Gemeinde für liturgische Feiern nach wie vor zur Verfügung. Die italienische Weimbs-Orgel aus den 1980er Jahren erklingt unterdessen an ihrem neuen Standort in der Mönchengladbacher Kirche St. Anna Windberg.
Verborgenes
Durch den Einbau der Kletterwände tritt der frühere sakrale Raumeindruck mit seiner Öffnung zwischen Mittel- und Seitenschiffen deutlich zurück. Selbst der Ambo (seit 1995 in St. Peter) wurde von einer Kletterwand um- und überbaut und bleibt den Besucher:innen heute verborgen. Erhalten geblieben sind unterdessen die großen, ornamentalen Glasfenster, die auf manchen der Kletterrouten aus nächster Nähe betrachtet werden können. So auch ein Mosaik an der Rückwand des Chores, welches den Hl. Petrus zeigt und durch den Einbau einer Wand verdeckt wurde, vom Mittelschiff aus folglich nicht mehr zu sehen ist.
TRANSARA-Perspektiven
Es handelt sich hier um die sog. ,kurze Anlage‘, bei der Gemeinde- und Altarraum eng aufeinander bezogen sind. Damit stellt der Kirchenraum in seiner ursprünglichen Gestalt ein wichtiges Zeugnis aus der Zeit der Liturgischen Bewegung dar. Die völlige Überlagerung und Verzweckung des als Gesamtkunstwerk konzipierten Raums ist problematisch, da von seiner ursprünglichen Qualität und Atmosphäre fast nichts erhalten ist. Verbliebene sakrale Raumelemente und Gegenstände wirken wie Fremdkörper und machen einen verwahrlosten Eindruck. Der disparate Raumeindruck steht in Widerspruch zu Erfahrungen, die im Zusammenhang mit seiner neuen Nutzung vermittelt werden. Die Kletterkirche stieß nicht nur medial auf ein beachtliches Echo, sondern erfreut sich auch bei den Nutzern großer Beliebtheit. In der Intention der Betreiber, die Kletterkirche nicht als reines Profitunternehmen zu führen, sondern auch die sozialen und kulturellen Aspekte zu integrieren, korrespondiert die derzeitige Nutzung mit der ursprünglichen.
Die neue Nutzung in der profanierten Kirche hat die vorherige religiöse Nutzung fast vollständig abgelöst. Die Raumgestaltung lässt wenig erkennbar Sakrales übrig, für implizite Hybridität gibt es hier kaum Anhaltspunkte. Die Geschichte der Kirche wird stark museal inszeniert. Der besondere Charakter des Ortes als „Begegnungsstätte“ und „mehr als eine reine Kletterhalle“ wird in der öffentlichen Kommunikation zwar behauptet, aber ein sozialer bzw. spiritueller Charakter ist weniger deutlich umgesetzt als möglich bzw. ursprünglich geplant. Der Raum ist immerhin der Öffentlichkeit zugänglich, auch ohne Eintritt kann man zum Zuschauen kommen. Damit stellt sich die Kletterkirche v.a. als eine pragmatische Erhaltungsstrategie des kunsthistorisch bedeutsamen Baus dar.
Die baulich prägnante Kubatur der Kirche mit den Annexbauten bleibt im Stadtbild nahezu unverändert erhalten und ist für die Öffentlichkeit grundsätzlich auch zugänglich, was aus denkmalpflegerischer Sicht positiv zu beurteilen ist. Im Inneren wurde die Umgestaltung von der Denkmalpflege im Jahr 2010 ebenfalls positiv bewertet, weil der Kirchenraum reversibel umgestaltet wurde. Die Kletterwände sind mit möglichst wenigen Befestigungen mit den Kirchenwänden verbunden, so dass der Substanzverlust gering bleibt. Die Ausstattung wurde bis auf den Altar gesichert oder eingelagert und kann im Falle einer erneuten Nutzung durch die Gemeinde wieder aufgestellt werden. Positiv hervorzuheben ist auch die praktizierte Erinnerungskultur, die sich im Eingangsbereich mit vielen Fotografien aus der Zeit vor der Umnutzung zeigt. Man muss hier aus denkmalpflegerischer Sicht von einem Kompromiss sprechen, der den Erhalt der denkmalgeschützten Gebäudehülle auf Kosten der Erfahrbarkeit des Innenraumes ermöglichte - das Gesamtkunstwerk von Ausstattung und Raumkonfiguration ist nicht mehr erlebbar. Der Raumeindruck ist schon allein durch die Abtrennung der Seitenschiffe verändert; das ursprüngliche liturgische Konzept ist nicht mehr zu erkennen. Aus heutiger Sicht stellt sich zudem die Frage, inwiefern diese Kompromisslösung eine nachhaltige ist. Der Zustand der Substanz ist z.B. im Bereich der Fenster nicht zufriedenstellend. Findet hier tatsächlich eine angemessene Umnutzung oder doch eine „Abnutzung“ der Bausubstanz statt? Auch aus ästhetischer Sicht wurde der Umbau nicht ansprechend umgesetzt. Die Einbauten passen mit dem qualitätvollen Kirchenraum nicht stimmig zusammen. Grundsätzlich wäre hier zu fragen, ob das denkmalpflegerische Prinzip der ,Reversibilität‘ tatsächlich immer der Garant für einen Substanz- und Atmosphäre-Erhalt eines Kirchenraumes darstellt.
Aus immobilienwirtschaftlicher Sicht lassen sich positive Tendenzen im Sinne einer „sozialen Nutzung“ im kirchlichen Interesse erkennen, auch wenn der Fall aus verschiedenen Gründen nicht als Best-Practise Beispiel gelten kann. Das Gebäude befindet sich insgesamt in einem schlechten baulichen Zustand; die Kirchengemeinde als Eigentümerin hat sich tendenziell vom Gebäude distanziert. Eine eher einfallslose Gestaltung der Betreiber-Website, der bestehende Instandhaltungsstau und ein vernachlässigter USP (dt. Alleinstellungsmerkmal) fallen ebenso auf, wie die im Vergleich zu anderen Kletterhallen verhältnismäßig hohe Nutzungsentgelte. Ansätze einer fundierten Machbarkeitsstudie sind nicht bekannt. Das Quartier und die Sozialrendite wurden augenscheinlich nicht miteinbezogen.
Zuschauer:innen können kostenlos in die Kletterhalle kommen, das heißt, es gibt aus Sicht einer diskurskritischen Praktischen Theologie eine relative Öffnung des Raumes. Im Klettern lassen sich metaphorisch Vertrauen, Ermutigung, Gehaltensein und das Streben nach etwas Höherem (Transzendenzbezug) finden. Hier zeigen sich Verknüpfungsmöglichkeiten zu Aspekten des Christentums. Darüber hinaus stößt das Klettern ein Nachdenken über Körper in Transformationsprozessen an: Welche Körper können sich wo, wann, warum, wodurch und wie bewegen?
Links und Literatur
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Diekamp, Bruno, St. Peter Waldhausen: Ein wichtiges Zeugnis des modernen Kirchenbaues, in: Mönchengladbach Veranstaltungen November '85, 4ff.
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Pfarre St. Peter, Mönchengladbach - Waldhausen (Hg.), Pfarrkirche St. Peter Mönchengladbach-Waldhausen 1933-1983, MG 1983.
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Benevolo, Leonardo, Geschichte der Architektur des 19. und 20. Jahrhunderts, Bd. 2, München 1978, 180ff.
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Handbuch des Bistum Aachen (1994), 1089f.
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Fuhrmeister, Christian: Sakral- und Memorialbauten um 1930 in Deutschland, in: Clemens Holzmeister, hrsg. von Georg Rigele u. Georg Loewit, Innsbruck 2000, S. 92-115.
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Schütte, Annette, Mönchengladbach 700 Jahre Glasmalerei, Mönchengladbach 1988.
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Giebeler, Britta, Sakrale Gesamtkunstwerke zwischen Expressionismus und Sachlichkeit in Rheinland (Diss. Univ. Bonn 1996), Weimar 1996.
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Beste, Jörg, Mönchengladbach. Ehemalige Kirche St. Peter. Kletterkirche, in: Landesinitiative StadtBauKulturNRW (Hg.), Kirchen geben Raum. Empfehlungen zur Neunutzung von Kirchengebäuden, Gelsenkirchen 2014, S. 38 f. [http://www.dbz.de/download/702849/kirchen_geben_raum-1.pdf].
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Beusker, Elisabeth (Hg.), Umnutzung von Kirchen. Beispiele aus Nordrhein-Westfalen, Göttingen 2021 (iPEReihe Umnutzung Bd. 1), 74-77.
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Westhoff, Alex, Zu Kreuze klettern, in: Frankfurter Allgemeine Sonntagszeitung Nr. 51, 24. Dezember 2017, 68.
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Meys, Oliver, Denkmalpflegerische Handlungsspielräume bei Kirchenumnutzungen. Praxisbeispiele aus Deutschland, in: Österreichische Zeitschrift für Kunst- und Denkmalpflege 2013, Heft 3/4, 338-351.
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https://rp-online.de/nrw/top10-rheinland/kletterkirche-moenchengladbach_aid-9697919
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https://www.zukunft-kirchen-raeume.de/projekte/st-peter-kletterkirche/