Universität Bonn

transara_de

25. Mai 2020

Artikel zum Thema "Sakralraumtransformation" auf theomag.de Artikel zum Thema "Sakralraumtransformation" auf theomag.de

Sakralraumtransformation. Über die Verortung und das Relationale des Sakralen: auf der Suche nach einem progressiven Begriff von Ort des Sakralen

Dass die Wertschätzung von Sakralräumen und das Festhalten an ihnen in unserer Gesellschaft weitaus verbreiteter sind, als die gegenwärtigen Schrumpfungsprozesse in den institutionellen Kirchen dies erwarten lassen, gibt zu denken. Auch die Medien zeigen, dass viele Menschen – ob man sie als religiös betrachtet oder nicht - im Alltag Sakralräume als besondere und wertvolle Räume bzw. Freiräume empfinden. So können wir feststellen, dass die gesellschaftliche Bedeutung von solchen Räumen nicht zu unterschätzen ist, und dass die Grenzen zwischen sakral und profan anscheinend fließender sind, als man bisher vermutete.

Sakralräume haben offensichtlich auch für die breitere Bevölkerung eine Orientierungsfunktion und einen Identifikationswert (z.B. Kölner Dom, Aachener Dom, Dresdner Frauenkirche, Leipziger Universitätskirche St. Pauli oder Leipziger Nikolaikirche). Nicht nur für diese berühmten Beispiele gilt, dass sie Identifikationsorte sind. Für die Menschen in manchen Dörfern oder Stadtvierteln kann die eigene größere oder kleinere Kirche wesentlich sein für den Ortskern und vielleicht sogar für das Zusammenleben. Es ist also anscheinend nicht der Fall, dass die fortgesetzte Entkirchlichung zwangsläufig die gesellschaftliche Bedeutung von Kirchengebäuden verringert. Vielleicht ist es eher so, dass die Signaturen unserer Zeit wie Pluralisierung, Enttraditionalisierung, Individualisierung, Globalisierung und Glokalisierung Menschen mit der Herausforderung konfrontieren, die eigene Identität ständig neu konstruieren zu müssen. Dabei spielen offensichtlich auch Sakralräume eine bestimmte oder sogar bestimmende Rolle.

Sakralräume bieten jedoch nicht nur Halt und Orientierung, sie enthalten auch Konfliktpotenzial. Umnutzung oder Abriss von Kirchenbauten sind nicht selten mit heftigen Emotionen verbunden, nicht anders der Neubau repräsentativer Moscheen. Und selbst der (Ein)bau eines Raumes der Stille kann heftige Konflikte hervorrufen, wie die Beispiele der Schließung einiger Räume der Stille an deutschen Universitäten belegen. Dass sakrale Räume die Gesellschaft sowohl spalten als auch einen können, hat z.B. die Diskussion um den Wiederaufbau der Leipziger Universitätskirche gezeigt.

In diesem Beitrag werden wir anhand der Begriffe „space“ und „place“ verdeutlichen, dass ein dynamisches und relationales Konzept von Sakralraum notwendig ist, um das Wesen des Phänomens Sakralraumtransformation verstehen und fruchtbar aufgreifen zu können. Hierzu verhilft eine dynamische und relationale Auffassung des „place“-Begriffs, die dadurch am besten erreicht wird, dass beide Begriffe nicht gegeneinander ausgespielt werden.

Das von der DFG bewilligte inter- und transdisziplinäre Forschungsprojekt „Sakralraumtransformation. Funktion und Nutzung religiöser Orte in Deutschland“ (FOR 2733), das am 1. März 2020 an vier deutschen Universitäten (Bonn, Köln, Leipzig, Wuppertal) begonnen hat, entstand aus dem Krisenbewusstsein, dass die mit Verkauf, Abriss oder Umnutzung von Kirchen einhergehenden Transformationsprozesse nicht selten unstrukturiert verlaufen und dass dabei nicht immer alle Facetten der Entscheidungssituation berücksichtigt werden. Und überdies: Die Bestimmung, was ein Sakralraum eigentlich ist, welche Bedürfnisse Sakralräume befriedigen (sollen) und wie sie ein Zeichen dafür sind, wie Zusammenleben in unserer Gesellschaft ausgehandelt wird – alles das sind Themen, die weder nur im akademischen, noch nur im theologischen oder kirchlichen Diskurs, sondern gesamtgesellschaftlich relevant sind. Ziel des Projektes ist es, durch die Zusammenführung unterschiedlicher, und das heißt konkret: architektonischer, architekturhistorischer, immobilienwirtschaftlicher, kunsthistorischer, liturgiewissenschaftlicher, religionswissenschaftlicher und pastoraltheologischer Forschungsansätze und durch ausdrückliche Einbeziehung der an diesen Prozessen beteiligten Aktoren (wie z.B. Immobilienmakler, Gemeinden, Denkmalschutz usw.) eine „praxisrelevante Theorie des sakralen Raumes“ im 21. Jahrhundert zu erarbeiten. Die Praxisrelevanz zeigt sich dabei verschärft in Fragen des Zusammenlebens und Versammelns. Die Last des sakralen Gebäudebestandes ohne Nutzung, der fragliche Umgang mit transformierten Objekten (Umnutzung, Teilabriss, Abriss), die unklare Definition zukünftiger Bauaufgaben und die Suche nach Grenzen von Anpassung und Weiterentwicklung sakraler Orte sind vor dem Hintergrund der dargelegten Entwicklungen zu einem Schlüsselthema nicht nur für die Kirchen, sondern auch für Wissenschaft und Gesellschaft geworden.

⇒Zum Artikel auf theomag.de

Wird geladen