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01. Juli 2025

Auf der Suche nach Mustern und Pfaden der Transformation – Rückblick auf die 5. TRANSARA-Jahrestagung in Leipzig Auf der Suche nach Mustern und Pfaden der Transformation – Rückblick auf die 5. TRANSARA-Jahrestagung in Leipzig

15.–16. Mai 2025 | Leipzig, Heilandskirche/ Stadtteilzentrum Westkreuz

Vom 15. bis 16. Mai 2025 fand in der Heilandskirche / Stadteilzentrum Westkreuz in Leipzig, die Jahrestagung von TRANSARA statt.
Hier finden Sie den Tagungsbericht!

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1_20250515_171646.jpg © TRANSARA
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Ein ambitioniertes Ziel hatte sich die FOR Sakralraumtransformation (www.transara.de) für ihre fünfte Jahrestagung gesetzt, die am 15. und 16. Mai 2025 in Leipzig stattfand: die Einflussfaktoren und Transformationsmuster jenseits einfacher Binaritäten, in ihren Überschneidungen und ihrer Komplexität zu untersuchen und im europäischen Vergleich auszudifferenzieren. Expert:innen aus Deutschland und weiteren europäischen Ländern diskutierten dazu mit den Forschenden von TRANSARA und einem interessierten Fachpublikum. Hat sich durch diese internationale Konferenz, veranstaltet im transformierten Kirchenraum der Leipziger Heilandskirche, nun ein klareres Bild der Muster und Pfade der Transformation ergeben, oder hat die Steigerung der Komplexität nur zu mehr Konfusion geführt? 

Zum Auftakt begrüßten Prof. Dr. Alexander Deeg, Leiter des Leipziger Teilprojekts, sowie Prof. Dr. Stefanie Lieb und Prof. Dr. Albert Gerhards als Sprecher:innen der Forschungsgruppe die Tagungsgäste und stellten die Arbeit der Forschungsgruppe vor. Die Ausgangsbasis der TRANSARA-Forschung war die Betrachtung zweier Untersuchungsräume anhand der Kontrastkategorien städtisch-ländlich, evangelisch-katholisch und ostdeutsch-westdeutsch. Im Laufe der Forschung zeigte sich, dass diese Differenzkategorien um weitere Vektoren ergänzt werden müssen, um unterschiedlichen Entwicklungen Rechnung zu tragen und auch manch überraschenden Befund zu deuten. Die klassischen Binaritäten werden etwa gekreuzt durch die vorhandene Baukultur, z.B. die stadträumliche Signifikanz der Bauten der Mehrheitskonfession, durch Engagementkultur und gesellschaftliche Infrastrukturen. Diese Linien der Differenz zeigten Dr. Kerstin Menzel, Elisabeth März, Martina Schmitz und Dr. Manuela Klauser in ihrem Auftaktvortrag auf. Sie präsentierten Hypothesen der Forschungsgruppe, die als Grundlage der Tagung den Referent:innen vorab zur Verfügung gestellt worden waren. 

In den darauffolgenden Vorträgen bezogen sich Wissenschaftler:innen aus dem europäischen Ausland auf diese Hypothesen und beleuchteten die Transformationslandschaften ihrer jeweiligen Länder. So traten nicht nur manche Parallelen, sondern auch ergänzende Aspekte oder völlig andere Kontextbedingungen zutage. 

Prof. Henrik Lindblad (Department of Art History, Uppsala Universiteit) stellte die Situation in Schweden vor, wo die Situation der Kirchengebäude durch die spezifische post-staatskirchliche Konstellation geprägt ist. Da der Staat den Erhalt des Kulturerbes, aber nicht des religiösen Lebens verantwortet, werden Kirchen zwar erhalten und renoviert, aber es fehlt häufig an Nutzungskonzepten. Für ein „living heritage“ fehle es noch an Forschung sowie an gemeinsamen Initiativen.

Prof. Johannes Stückelberger (Neuere Kunstgeschichte, Universität Basel / Institut für Praktische Theologie, Universität Bern) präsentierte Auswertungen einer Kirchbaudatenbank aus der Schweiz: https://www.schweizerkirchenbautag.unibe.ch/datenbank_kirchenumnutzungen/datenbank/index_ger.html. Die dortige Landschaft ist geprägt durch die konfessionellen Unterschiede, die mit Unterschieden der Siedlungsstruktur korrelieren: Der Großteil der umgenutzten protestantischen Kirchen liegt in städtischen Räumen, der Großteil umgenutzter katholischer Kirchen dagegen im ländlichen Raum. Dank einer noch guten Finanzlage wurden bislang nur wenige Gebäude von den Kirchen veräußert.

Dr. Linda Monckton (Policy Development Department, Policy and Evidence Group, Historic England) ergänzte Perspektiven aus England, die deutlich machten, dass es bei Kirchenschließungen in England Zusammenhänge mit dem Denkmalstatus einerseits und dem ökonomischen Umfeld andererseits gibt. Besonders in urbanen wie ländlichen „deprived areas“, prekären Regionen, sind viele Kirchen, die keinen oder nur einen eingeschränkten Denkmalstatus haben, gefährdet. 

Ähnlich wie auch im darauf folgenden Vortrag wurde in der Präsentation von Dr. Marcus van der Meulen (Faculty of Architecture RWTH Aachen/ FRH Europe) deutlich, dass Sakralraumtransformation in postsozialistischen Ländern lange historische Linien aufweist. Den Abbruchprozessen und Umnutzungen stehen eindrucksvolle, architektonisch monumentale Neubauten gegenüber, die auf die enge Verbindung von Religion und politischen Interessen im gegenwärtigen Polen verweisen.

Dr. Barbora Spalová (Department of Sociology, Charles University Prague) gab einen Überblick über die Entwicklungen in Tschechien im Zusammenhang mit den gesellschaftlichen Transformationen seit 1989. Unterschiede innerhalb der Tschechischen Republik sind durch die unterschiedliche konfessionelle Prägung und finanzielle Situation bedingt; außerdem ist die Situation der Kirchen in ländlichen Räumen prekärer als in urbanen Zentren. Beginnende Prozesse von Umnutzung oder hybrider Nutzung bewirken neue Verständnisse von Sakralität im säkularen Kontext – „infrasecular sacrality“. Deutlich wurden auch in diesem Vortrag die langen und schmerzhaften historischen Linien der Transformationslandschaften in postsozialistischen Ländern.

Prof. Dr. Sven Sterken (Faculty of Architecture, KU Leuven) stellte sein über einen Zeitraum von zehn Jahren mit Erfahrungen aus Forschung, Lehre und Praxis entwickeltes Umnutzungskonzept vor, das Akteuren im Umfeld eines Kirchengebäudes helfen soll, die Ausgangssituation genau zu charakterisieren und die Potenziale zu ermitteln, die sich aus den baulichen Voraussetzungen des Gebäudes ergeben. In Belgien sind die kirchlichen Gebäudeprozesse weit fortgeschritten und die Kommunen verpflichtet, einen Entwicklungsplan vorzulegen, der die Gebäude einschließt.

Zum Abschluss des ersten Tages der Jahrestagung kamen, unter Moderation von Dr. Kerstin Menzel, vier Expert:innen aus der Praxis von Kirchen und Kulturerbe an einem Roundtable zusammen: Greg Pickup als CEO des Churches Conservation Trust in England, Lilian Grootswagers-Theuns als Präsidentin des Beirats des Netzwerks FRH Europe, sowie als kirchliche Vertreter Martin Reichenbach für den Kirchenrat der Norwegischen Kirche und Ivo Hermann für das Bistum Eichstätt. Die Expert:innen stellten ihre Arbeit vor und kommentierten die Beiträge des Nachmittags aus ihrer jeweiligen Perspektive. Insbesondere weiterführend waren hierbei die Impulse, scheinbare Selbstverständlichkeiten in Frage zu stellen sowie Prozesse partizipativ zu gestalten. 

Der zweite Tag begann mit einem Blick auf die bereits am ersten Tag begonnene Visualisierung der sich ausbildenden Muster und Pfade. Die Forschenden aus Teilprojekt 2 von TRANSARA hatten dazu ein dynamisches Mapping vorbereitet – bestehend aus paradigmatischen Transformationstypen („the civic church“, „the commercialized church“, „the abandoned church“ und andere) in Form von Bausteinen sowie Kontextbedingungen, die als Kartenelemente symbolisiert wurden („the highway of top-down decision making“, „the jungle of urban influx“, „the delta of multireligious diversity“, „the summit of cityscape dominance“ und weitere). Die Kartenelemente und Gebäude wurden auf einem Tisch gruppiert, um Tendenzen und Pfade zu visualisieren und ggf. auch durch das Versetzen von Gebäuden zu „spielen“ und neue Möglichkeiten sichtbar zu machen. Die Präsentation des Mappings regte die Teilnehmenden zur Diskussion an und diente als produktiver Einstieg für die folgende Kleingruppenphase. 

In Gruppen von jeweils ca. zehn Personen reflektierten die Tagungsteilnehmenden daraufhin die Einsichten des ersten Tags und vertieften unter anderem Fragen nach Prozessen und Akteuren, Materialität und Sozialität, Sakralität und Werten. Diskutiert wurde, welche Achsen sich in der Kartierung implizit zeigen und wie die unterschiedlichen Dimensionen von Ressourcen (baulich, kirchlich, religiös, gesellschaftlich, wirtschaftlich etc.) sich auf die Entwicklungspfade von Kirchengebäuden auswirken.

Anschließend wurden in zwei weiteren Panels Muster aus einzelnen Disziplinen präsentiert, die von der Forschungsgruppe als kreuzende Vergleichsvektoren herausgearbeitet worden waren: der soziologische Blick auf Säkularität, der kirchentheoretische Blick auf das Verhältnis von Kirche und Gesellschaft, sowie Paradigmen und Entwicklungen in den Bereichen Architektur und Denkmalpflege. 

Prof. Dr. Monika Wohlrab-Sahr (Institut für Kulturwissenschaften, Universität Leipzig) legte als Soziologin dar, was Säkularisierung für die Transformation von Gebäuden bedeuten kann. Säkularisierung zeigt sich neben dem Rückgang an Kirchenmitgliedern und dem Bedeutungsverlust von Religion auch im historischen Wortsinne des Wortes Säkularisation als „Enteignung“ und Machtverlust kirchlicher Autorität – sodass eine Verschiebung hin zu nicht-kirchlichen Expert:innen eintritt, die Verantwortung für Gebäude übernehmen. Säkularität wie Sakralität werden dort – durchaus konflikthaft – neu verhandelt, insbesondere die Grenzziehung zwischen religiösen und nicht-religiösen Sphären.

Prof. Bernd Hillebrand (Katholisch-Theologische Fakultät, Universität Graz) sprach darüber, welche Kirchenbilder mit welchen theologischen Grundannahmen einhergehen und welche Auswirkungen sie auf das Verhältnis zur Gesellschaft haben. Er plädierte für ein Verständnis von Kirche als fluides Netzwerk, das seine eigene Intention möglichst weit zurücknimmt und die eigene Autorität beschränkt, um der Suche nach dem Gemeinwohl Raum zu geben. Gleichwohl bleibt das Paradox von „vacating space“, Raum freigeben, und „not giving up“, dennoch präsent zu bleiben, bestehen.

Welche Paradigmen in der Architektur wirksam sind, referierte Prof. Dr. Andrea Longhi (Politecnico di Torino). Er plädierte dafür, sich von normativen Typologien in der Architektur zu entfernen und stattdessen die Vielfalt der Prozesse (einschließlich der beteiligten Akteure) stärker in den Blick zu nehmen. Dazu stellte er eine Matrix von Werten vor, die sich mit einem Kirchengebäude verbinden und bei einer Transformation zu berücksichtigen sind.

Werte spielen auch in der Denkmalpflege eine wichtige Rolle, wie Dr. Eva Schäfer (ArchitekturGeschichten, Bern) in ihrem Vortrag zu Paradigmen der Denkmalpflege deutlich machte. Einerseits gibt es internationale Vereinbarungen zum Schutz kulturellen Erbes, andererseits sind auch national unterschiedliche Prinzipien wirksam. Der möglichst wenig invasive Erhalt eines Gebäudes steht dabei in Spannung zur Notwendigkeit seiner Nutzung, die Eingriffe erfordern kann. Für die Abwägung über diese Eingriffe braucht es Leitlinien und Kriterien, die sich in den europäischen Gesellschaften unterscheiden – je nach gesellschaftlicher Bedeutung von Kirchengebäuden, Finanzlage und Gebäudebestand.

Ähnlich wie am ersten Tag wurde die Reihe der Vorträge durch ein von Elisabeth März moderiertes Gespräch der Praxisexpert:innen reflektiert und ergänzt.  

Prof. Dr. Albert Gerhards und Prof. Dr. Stefanie Lieb resümierten schließlich die Tagung kurz aus ihrer Sicht als Sprecher:innen der Forschungsgruppe. Gerhards betonte den breiten Konsens auf der Tagung in der Bedeutungszuweisung der Sakralgebäude für die Gesellschaft. Sie gehören nicht nur den Kirchengemeinden, sondern allen. Hier gibt es allerdings in Bezug auf die Immobilienstrategien der Entscheidungsträger oft ein Vermittlungsproblem.

Die Tagung vermochte es, einige durchgehende Linien in der Komplexität der Entwicklungen mit all ihren Kontextfaktoren, beteiligten Akteuren und begleitenden Diskursen zu entdecken. Deutlich wurden insbesondere die Machtdynamiken, die in den Veränderungen wirksam sind und die sich mit gesellschaftlichen Aushandlungsprozessen um Religion, öffentliche Räume und Architektur verbinden. Gerade auch ökonomische und andere gesellschaftliche Ressourcen, die in den europäischen Ländern bereits je regional unterschiedlich verteilt sind, wurden als wesentliche Einflussgröße herausgestellt. 

Im Blick auf eine gewinnbringende zukünftige Gestaltung der Transformation gab es deutliche Konvergenzen – die Öffentlichkeit von Kirchenräumen zu bewahren, die Partizipationsoffenheit der Prozesse zu stärken, den Sozialraum in die Suche nach Neunutzung einzubeziehen und bestehende Strukturen und Grenzwerte insbesondere im theologischen und im kulturellen/denkmalpflegerischen Kontext überprüfen, um mehr Offenheit für neue Ansätze zu generieren. Das spielerisch anmutende Mapping hat sich dabei als sehr anregend in unterschiedliche Richtungen erwiesen – sowohl als Instrument zur Wahrnehmung als auch potenziell als Inspirationstool für die Praxis. 

Prof. Dr. Alexander Deeg

deeg@transara.de

Dr. Kerstin Menzel

menzel@transara.de

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