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16. Februar 2021

Kirchengebäude verändern sich – nur wie? Kirchengebäude verändern sich – nur wie?

Nach Einschätzung von Jörg Beste, dem Leiter des Arbeitsbereiches Stadtentwicklung – Sozialraum – Baukultur des Büros „synergon“, werden rund 25% der 6000 Kirchen in NRW bis 2030 umgenutzt werden. Damit stehen Bistümer und Gemeinden vor schwierigen Entscheidungen. Umbauen oder verkaufen? Vielleicht doch lieber abreißen?

Kirchengemeinden finden sich häufig in Umnutzungsprozessen allein wieder. Zahlreiche Gespräche mit Pfarrleitung, Gemeindemitgliedern und Fördervereinen zeigen dasselbe. So auch im Fall der Heilig-Geist-Kapelle in Kempen. Die leerstehende 600 Jahre alte Kapelle hat viele Umnutzungen erfahren: Zuerst war sie Sakralraum, später ein Frisörsalon und danach eine Stadtbibliothek. Im Jahre 1990 wurde die Kapelle wiederrum als Sakralraum genutzt, um im Jahr 2005 zur Buchhandlung „Choros“ umgenutzt und danach wieder nach 8 Jahren der Schließung von 2012 - 2020 von der Initiative Atem-Pause wiedereröffnet zu werden, um Menschen eine Ruhepause vom hektischen Alltag zu ermöglichen. Die Kirche ist wichtig für die Einwohner, da sie direkt neben dem sogenannten „Buttermarkt“ liegt, welcher rege frequentiert wird. Dementsprechend wurde die Kapelle häufig besucht und ist aufgrund ihrer Präsenz ein Identifikationsmerkmal für die Anwohner und Besucher des Marktes, sowie für das Stadtzentrum.

Wie der Fall der Heilig-Geist-Kapelle zeigt, handelt es sich bei Kirchenumnutzungen um komplexe Fragen, wofür es Expertise braucht, um die Prozesse rund um die Transformationen von Gebäuden zu untersuchen. Unterschiedliche Akteure haben unterschiedliche Interessen, welche sie in die Transformationsprozesse einfließen lassen. Welche Entscheidungen warum getroffen werden, wer maßgeblich an der Entscheidungsfindung beteiligt ist und welche Interessen berücksichtigt werden, ist ein wichtiges Untersuchungsfeld der neuen Forschungsgruppe „Sakralraumtransformation“, gefördert von der Deutschen Forschungsgemeinschaft.

Selbst wenn die Zahl an Gottesdienstbesuchern zunehmend sinkt oder weniger Menschen sich mit der Katholischen oder Evangelischen Kirche identifizieren: Kirchengebäude prägen das Stadtbild, bieten die Möglichkeit zur Religionsausübung und Seelsorge, dienen als Identifikationsmerkmal der Stadt oder des Individuums oder erzählen die Geschichte jedes einzelnen Gemeindemitglieds und Besuchers. Daher sind diese Umnutzungsprozesse komplex. Wenn schnelle Entscheidungen getroffen werden, entstehen Probleme, da plötzliche Kirchschließungen, Profanierungen oder sogar der Abriss drohen.

Hierbei stehen besonders die Bistümer in der Verantwortung, Objekte nicht nur als Investition zu betrachten. Diese Gebäude sollten in der ursprünglichen Form als öffentliche Räume dem Gemeinwohl zugutekommen. Wenn das Bistum Kirchen als diese Art von Räumen wahrnehmen will, muss es sich im interdisziplinären Dialog mit allen Akteuren auseinandersetzen. Sonst verwaltet Kirche lediglich Kirchengebäude und erzeugt den Anschein eines immobilienwirtschaftlichen Unternehmens, dasRäume möglichst schnell abstoßen möchte. Daher müssen spirituelle, soziale und kulturelle Faktoren einbezogen werden.

Ob Kirchengebäude akzeptiert werden oder nicht, ist ein weiterer wichtiger Fragenkomplex, mit dem sich die Forschungsgruppe befassen wird. Wenn Transformationsprozesse von Sakralräumen abgeschlossen werden, sollten gemeinsame Entscheidungen dazu führen, dass alle Akteure die neue Form des Raumes akzeptieren können. Unter der Berücksichtigung der spirituellen, sozialen und kulturellen Faktoren liegt die Interessensgruppe eine solide Grundlage für die Diskussion. Wenn jedoch Entscheidungen ohne feste Grundlage und Berücksichtigung der Interessensgruppen getroffen werden, kann das nicht nur zu Konflikten, sondern auch zu einer Ablehnung des neuen Raumes führen. Letztendlich sind dann die Gemeinden und Anwohner die Leidtragenden, welche mit dem neuen Gebäude umgehen müssen. Denn eine Kirche hat über ihre Umnutzungen hinaus immer noch eine Bedeutung, sei es als Symbol oder als Übermittler von Geschichte. Im schlimmsten Falle wird der Raum in der breiten Masse nachträglich abgelehnt und verkommt.

Probleme der Kirche
Aufgrund der immer knapper werdenden Einnahmen der Kirchensteuer stehen immer mehr Kirchengebäude vor dem Aus. Hinzu kommen die Kirchenaustritte aus der katholischen und evangelischen Kirche. Begünstigt werden die Austritte aus den Kirchengemeinden infolge von Corona, was den Erosionsprozess beschleunigt, so merkte bereits Thomas Sternberg, der Präsident des ZdK, an, was Zukunftsprobleme in sich birgt.

Neben den stagnierenden Kirchenmitgliedszahlen und den dadurch sinkenden Kirchensteuern ist der Einsatz von pastoralem Personal kaum gewährleistet. Kirchen werden teilweise nur einmal im Quartal genutzt, weil das Personal fehlt. Zusätzlich sind Umstrukturierungen des Pastoralraumes notwendig, um der Entwicklung gerecht zu werden. Hier kommen auch Umnutzungsideen an ihre Grenzen: Wird eine Kirche zum Kolumbarium umgebaut, benötigt es zusätzliches Personal für die Trauerseelsorge. Jedoch können die notwendigen Mitarbeiter vom Bistum häufig nicht aufgebracht werden, da schlichtweg hauptamtliche Seelsorger fehlen.

Deswegen werden in naher Zukunft immer mehr Kirchen von Profanierung, Verkauf, Umbau und Abriss betroffen sein. Um jedoch gute Konzepte, welche die Kirche als Ort der Gemeinschaft und der Geschichte wahren, zu finanzieren, sind Investoren und engagierte Gemeindemitglieder gefragt. Diese Investoren sind jedoch rar gesät, zumal selten uneigennützig gehandelt wird. Allein die Profitgier eines Investors kann den Raum, Ort und die Lebensqualität aufgrund gravierender Entscheidungen nachhaltig schädigen.

Bistum Aachen versucht Lösungen
Das Bistum Aachen richtete eine Stelle unter anderem für die Beratung von Umnutzungen von Kirchen, sowie Gemeindeberatung und Rätebegleitung ein. Diese soll Gemeinden unterstützen, dessen Gebäude in absehbarer Zeit oder aktuell einem Transformationsprozess unterliegen. Das ist auch notwendig, damit Fälle wie in St. Ursula im Erzbistum Köln nicht wiederholt werden. Der jahrelange Streit um die sogenannte „Böhm-Chapel“ in Hürth-Kalscheuren zeigt, wie emotional und weittragend solche Entscheidungen über Kirchenumnutzungen sein können. Der bedeutende Bau von Gottfried Böhm wurde am 29. Juni 2006 nach zahlreichen Diskussionen seitens der Politik, des Denkmalschutzes, der Wissenschaft, der Gemeinde und Gemeindeinitiativen mit dem Erzbistum profaniert und an einen privaten Investor verkauft, der das Umfeld der Kirche bebauen wollte. Das rief ein großes Medienecho hervor und führte schließlich zu einem Weiterverkauf des Gebäudes, das nun als Kunstgalerie dient.

Dokumentiert hat diesen Prozess der Leiter der DFG Forschungsgruppe, Prof. Dr. Albert Gerhards. „Es ist notwendig, die Geschehnisse zu dokumentieren und alle Seiten objektiv und möglichst authentisch zu Wort kommen zu lassen, um letztendlich Kriterien für Verantwortliche in vergleichbaren Situationen zu erstellen“, so Gerhards. Das sieht die Forschungsgruppe, bestehend aus sieben Teilprojekten von Fächern der katholischen und evangelischen Theologie, Kunstgeschichte, Architektur, Immobilienwirtschaft, Religionswissenschaft und Philosophie, angesiedelt an den Universitäten Bonn, Leipzig, Köln, Wuppertal und Regensburg, als ihre Aufgabe an.

Wie unterschiedlich die Lösungswege sein können, zeigen auch diese besonderen Umnutzungen:

Beispielsweise wurde der Raum der ehemaligen Kirche im Aachener Stadtkern St. Elisabeth zu einem digitalHUB umgebaut. Jetzt dient er als Treffpunkt und Lernort für Menschen, die sich eine Mitgliedschaft leisten können. Die erhaltenen sakralen Gegenstände wie die Marienstatue befinden sich nach wie vor im Kirchenraum, unzugänglich für Gläubige. Die Kirche ist von einem öffentlichen spirituell genutzten zu einem exklusiv für Mitglieder reservierten Raum verwandelt worden. 

Ein anderes Beispiel ist die ehemalige Dominikanerkirche St. Paul, ebenfalls im Stadtkern von Aachen. Dort wurde in die große gotische Kirche ein Betonkubus für das Bistumsarchiv hineingebaut. Statuen und Kunst wurden entfernt. An den Seiten des Kubus sind nun Veranstaltungen möglich.
Hingegen wurde im Bistum Augsburg im Jahr 1977 das Bistumsarchiv ebenfalls in eine umgebaute Kirche verlegt. Hier jedoch wurde ein zusätzliches Gebäude eingebaut und bis in das Langschiff des Sakralbaus verlagert. Es blieb ein kleiner Teil des vorderen Langhauses mit Chor als Gottesdienstraum erhalten.

Beide Kirchen unterscheidet eine wichtige Tatsache: Im Aachener Bistumsarchiv verschwand der Raum für Gottesdienste und Andachten vollständig, während er im Augsburger Bistumsarchiv erhalten worden ist. 

Forschung für starke Konzepte
Die gegenwärtige Situation der Kirche zeigt: Kirchenumnutzungen benötigen starke Konzepte, um der Vorgeschichte, den Potenzialen des Kirchenraumes und den Interessentengruppen gerecht zu werden. Da jeder Umnutzungsprozess für sich allein steht und individuelle Lösungswege notwendig sind, ist es umso wichtiger, zahlreiche Prozesse zu untersuchen, um möglichst viele Erfahrungen zu sammeln. Diese Erfahrungen reflektieren und im Ergebnis der Öffentlichkeit vorgestellt werden, um Bistümern, Gemeinden und weiteren Akteuren eine Orientierungshilfe anzubieten, ist Aufgabe der Forschungsgruppe „Sakralraumtransformation“.

Entscheidend für die Untersuchungen sind die Interessen und Kommunikationswege der Akteure sowie die Erstellung und Umsetzung von Konzepten. Daher braucht es eine Forschungsinitiative, die Transformationsprozesse von Kirchengebäuden untersucht, damit gravierende Fehler vermieden und Potenziale von Kirchengebäude gesehen werden, um letztendlich allen Beteiligten im Rahmen der Möglichkeiten gerecht zu werden.

⇒Alexander Radej

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