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01. Dezember 2022

Tagungsbericht zur TRANSARA-Jahrestagung in Regensburg vom 30.09.- 01.10.2022: „Immobilie Kirche – Umnutzungsstrategien im Zusammenspiel von Architektur, Baukultur, Quartier und Ökonomie“ „Immobilie Kirche – Umnutzungsstrategien im Zusammenspiel von Architektur, Baukultur, Quartier und Ökonomie

Bei der zweiten Jahrestagung der DFG-Forschungsgruppe TRANSARA (Sakralraumtransformation in Deutschland) vom 30.09. bis 01.10.2022 in Regensburg wurden Fragestellungen rund um das Thema „Immobilie Kirche“ mit einem Schwerpunkt auf der immobilienwirtschaftlichen Perspektive diskutiert.

Teilprojekt 3 hält die Ergebnisse in einem Tagungsbericht fest.

TRANSARA Jahrestagung - Teamfoto
TRANSARA Jahrestagung - Teamfoto - Gruppenfoto von TRANSARA (v.l.n.r.): Torsten Dautzenberg, Martina Schmitz, Johanna Oedekoven, Yannik Gran, Stefanie Lieb, Marius Dürr, Sven Bienert, Johann Weiß, Kerstin Menzel, Benedikt Gloria, Franziska Beckmann, Ulrich Königs, Eva Grönwoldt, Jakob Scheffel © TRANSARA
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Bei der zweiten Jahrestagung der DFG-Forschungsgruppe TRANSARA (Sakralraumtransformation in Deutschland) vom 30.09. bis 01.10.2022 in Regensburg wurden Fragestellungen rund um das Thema „Immobilie Kirche“ mit einem Schwerpunkt auf der immobilienwirtschaftlichen Perspektive diskutiert:

Kirchengebäude sind Immobilien mit einem Sonderstatus, deren Umnutzungsszenarien von Seiten der Denkmalpflege, Baukultur, Quartiersentwicklung und Bauökonomie viel Fingerspitzengefühl und vor allem Bereitschaft zur transdisziplinaren Zusammenarbeit erfordern. Am Beginn dieser Kooperation muss die Überprüfung und der Abgleich unterschiedlicher Wertesysteme stehen: hier natürlich besonders die der zunächst diametral entgegengesetzt erscheinenden Maßstäbe von Denkmalpflege, Baukultur und Immobilienwirtschaft. Bei der TRANSARA-Tagung wurden in mehreren Impuls-Vorträgen und anschließenden Panels die jeweiligen Wertedebatten und Strategien des Umgangs mit der „Immobilie Kirche“ vorgestellt und nach möglichen Anknüpfungspunkten, aber auch divergierenden Ansätzen untersucht. Erfahrungsberichte aus der Praxis erweiterten als Anschauungsmaterial die unterschiedlichen Positionen, belegten aber auch, dass ein sinnvolles Weiterbauen mit der Immobilie Kirche nur im Zusammenspiel aller erfolgen kann. Eröffnet wurde die mit rund 120 Personen gut besuchte Tagung am 30.09.22 mit einer Begrüßung der Vizepräsidentin der Universität Regensburg, Prof. Dr. Susanne Leist, sowie dem Organisator Prof. Dr. Sven Bienert, Teilprojektleiter für den Bereich Immobilienwirtschaft in der DFG-Forschungsgruppe TRANSARA und Leiter des Instituts für Immobilienwirtschaft an der Universität Regensburg (IREBS) sowie eines kurzen Grußwortes von Prof. Dr. Alexander Deeg (TRANSARA, Leipzig), der in Vertretung des erkrankten Projektleiters Prof. em. Dr. Albert Gerhards (TRANSARA, Bonn) die Tagungsgäste im Namen der Forschungsgruppe willkommen hieß.

Panel 1 stand unter dem Titel „Synergien zwischen Ökonomie, Architektur und Baukultur – Kirche als Immobilie“. Hier stellte Norbert Hermanns (Landmarken AG) in seiner Key Note „Digital Church – als Beispiel für ‚Kirche neu'?“ die Kirche St. Elisabeth in Aachen und die einzelnen Schritte der Umwandlung zum digital Hub vor. Die Kirche wird heute als Co-Working Space für die Start-up Szene Aachens genutzt, in der sich Entrepreneure bei Veranstaltungen mit Investoren vernetzen und Coachings in Anspruch nehmen können. Norbert Hermanns berichtete von den reversibel erfolgten Anpassungen der Elektrik, der Akustik und der flexiblen Möblierung unter Berücksichtigung der denkmalgeschützten Elemente. In diesem Zuge nannte er auch die günstigen Vermietungskonditionen und Förderungen. Als zweiter Beitrag folgte Wolfgang Scheidtweiler (Unternehmer) mit der Präsentation „Unternehmerische Umnutzungskonzepte am Beispiel Kloster Steinfeld.“ Er verwies auf die besondere Situation der Klöster, die sich selbst tragen müssen. Scheidtweiler übernahm die Schulden des Klosters Steinfeld, führt den Klosterbetrieb fort und hat daneben das ehemalige denkmalgeschützte Internatsgebäude zum Gäste- und Tagungshaus umgebaut. Das benachbarte Benediktinerinnenkloster übernahm er zwischenzeitlich ebenso wie das Kloster Mariawald, in dem künftig wieder eine Trappistenbierbrauerei eingerichtet werden soll. Bei der anschließenden Podiumsdiskussion „Impact Investment“ – Brücke zwischen „Purpose“ und Wirtschaftlichkeit als Ansatz für Sakralraumtransformationen?“ wurde die Runde um Werner Knips (Institut für Corporate Governance der dt. Immobilienwirtschaft) und Thomas Eckert (Dömges Architekten AG) erweitert. Es moderierte Prof. Dr. Sven Bienert (Immobilienwirtschaft, Uni Regensburg). Bei der Diskussion über die konkreten Kosten und Finanzierungsmodelle des digital Hub und der Klöster ergab sich folgendes Bild: Während St. Elisabeth in Aachen als Digital Church für die Nutzung als Co-Working-Space lediglich technisch ertüchtigt wurde, fanden in den Klöstern umfangreiche Renovierungs- und Umbauarbeiten statt, deren Kosten jedoch durch die Nutzung erwirtschaftet werden können. Herr Knips berichtete aus seiner Erfahrung, dass für ein denkmalgeschütztes Objekt die richtige Nutzung „vorbeikommen müsse“, die von der vorhandenen räumlichen Struktur unterstützt werde. Zur Rendite gehöre auch der gesellschaftliche Nutzen, welcher mittlerweile auch von Fonds eingepreist werde. Herr Eckert hob hervor, wie wichtig die Fortführung der Klostertradition als emotionaler Faktor für die Besucher sei. Herr Scheidtweiler brachte das Modell Erbpacht zur Sprache, das es dem Orden ermögliche, seine Gebäude wieder selbst zu übernehmen. Die Frage aus dem Publikum, wie der digital Hub auf das Quartier zurückstrahle, wurde mit Zuzug von Akademikern und Investitionen im Umfeld beantwortet. Prof. Dr. Barbara Welzel (Seminar für Kunstwissenschaft, TU Dortmund) ergänzte aus dem Plenum den Wunsch, die kunsthistorische Perspektive möglichst früh in die Planung einzubinden, um vorhandene kulturelle Traditionen der jeweiligen Region bei Umnutzungen sinnvoll reaktivieren zu können.

Im zweiten Panel lag der Fokus auf dem Themenfeld „Sakralraumtransformation zwischen Architekturentwurf und Umbaukultur“. Zunächst leitete Prof. Dipl.- Ing. Ulrich Königs (TRANSARA, Architekt, Bergische Universität Wuppertal) mit der These, dass jede Kirche von Sakralraumtransformation betroffen sei, in das Thema ein. Er beschrieb, wie sich verändernde Ideen von Kirche architektonisch an Kirchengebäuden abzeichnen. Im ersten Vortrag unter dem Titel „Die Schalker Kirche St. Joseph – Umnutzungskonzepte, die USP versprechen!“ stellte die Innenarchitektin Martina Fecke (Thelen Gruppe) einen Umbauentwurf für die Kirche St. Joseph in Gelsenkirchen-Schalke vor. Der angestrebte multifunktionale Raum solle die „Schalker DNA“ und damit den lokalen Identitätsfaktor Fußball abbilden, sowie weitere kommerzielle Nutzungen wie zum Beispiel Co-Working, Gastronomie und Events ermöglichen. Die Kirche als Identifikations- und Begegnungsort stand im Fokus des Umbaukonzeptes, sowie das Prinzip von flexibler Einrichtung und Kombination mehrerer Nutzungen. Im Anschluss folgte Prof. Dr.- Ing. Christoph Grafe (Architekturgeschichte, Bergische Universität Wuppertal) unter dem Titel „Gefährdete Schätze – die Kirchen des Wirtschaftswunders und ihre Perspektiven für eine dauerhafte Neunutzung“ mit seinem Ansatz von Umbaukultur, welcher „Alternativen zum gedankenlosen Abriss“ aufzeigen solle. Der Bestand sei eine Ressource, deren Wertigkeit in der Baubranche noch zu wenig geschätzt werde. Zwar würden Entwicklungen der letzten Jahre, wie zum Beispiel die gesteigerte Wertschätzung der Industriedenkmäler, zeigen, dass sich die öffentliche Haltung zum Bestand ändere, allerdings sei ein Umdenken im Bauwesen weiterhin notwendig. So müsse man das Problem als architektonische Fragestellung verstehen, welches das Ablegen der Entwurfsbasis als einer „tabula rasa“ erfordert. Auch plädierte Herr Grafe für eine Bereitschaft zum Abwarten beim Bauen im Bestand. Unter dem Titel „Kirchen(um)bau – architektonische Avantgarde oder parasitäre Verwertung?“ wurden die Aspekte Ästhetik als Mittel einer Haltung gegenüber dem Bestand und weitergenutzte Kirchen als ehemalig konsumfreie, öffentliche Räumen gegenübergestellt. Herr Königs leitete die Diskussion, an der neben den Vortragenden auch Prof. Dr. Sven Bienert teilnahm. Zu der Frage, welcher Umgang mit dem Bestand bei Kirchengebäuden erforderlich sei merkte Herr Grafe an, dass die geplanten Einbauten in Schalke keinen Anspruch der dauerhaften Gültigkeit auszudrücken scheinen. Die Frage nach der Privatisierung von Kirchengebäuden und damit die Einschränkung ihrer Öffentlichkeit brachte differenzierte Ansichten hervor. Herr Bienert betonte die Notwendigkeit eines Finanzierungskonzeptes zum Erhalt der Gebäude, wobei Privatisierung eine Möglichkeit darstelle. Herr Grafe ergänzte, dass selbst Kirchen, welche weiterhin ihre ursprüngliche Nutzung behalten, nicht als vollständig öffentlich bewertet werden können. Ein Beispiel für Kirchen als konsumpflichtige Räume seien die Eintrittsgelder für den touristischen Kathedralbesuch. Zum Entwurf für die Schalker Kirche merkte Frau Fecke an, dass der Kirchenraum nicht vollständig privatisiert sei und dass die Umnutzung eine Verbesserung darstelle, da Kirchen inzwischen üblicherweise geschlossen seien.

Das dritte Panel lief unter dem Titel „Kirche zwischen Immobilie, Sakrileg und Kulturerbe“. In einem Einführungsvortrag stellte Prof. Dr. Stefanie Lieb (TRANSARA, Kunsthistorisches Institut, Universität zu Köln) den Kontext von Kirchengebäuden mit ihrer Stellung im Bereich Denkmalpflege und Baukultur her. Sie erläuterte, dass Kirchen einen Sonderstatus als Gebäude besitzen, sowohl als ökonomisch zu betrachtende Immobilie, aber auch aus kirchenrechtlicher Sicht als religiös genutzter Raum und schließlich als denkmalgeschütztes Bauwerk mit kulturhistorischer Bedeutung. Zukünftig sei hier ein stärkeres Abgleichen der verschiedenen Wertekategorien der jeweiligen an Umnutzungen beteiligten Akteure notwendig; so können Potenziale für weitere Nutzungen und damit der Erhalt der Gebäude ermöglicht werden. Den zweiten Vortrag „Kirchturmdenken – Kirchen als zentrale Ankerpunkte der Kultur“ hielt Prof. Dr. Barbara Welzel (Seminar für Kunstwissenschaft, TU Dortmund). Zunächst stellte sie das Projekt „Kirchturmdenken“ vor, eine staatlich finanzierte Förderplattform, über die Projekte zur kulturellen Bildung in Kirchengebäuden unterstützt werden können. Aufgrund der hohen historischen und kulturellen Bedeutung von Kirchen, plädierte Welzel eindringlich für eine Wahrnehmung von Kirchengebäuden nicht nur als Einzelgebäude, sondern vor allem auch als Ankerpunkte in einem europaweiten kulturellen Netz. Dieses Netz gelte es für die gesamte Gesellschaft zu erhalten, zu pflegen und zu nutzen, auch wenn sich kirchliche Institutionen zunehmend zurückziehen. Krankheitsbedingt konnte Dr. Andrea Pufke (Landeskonservatorin, LVR-Amt für Denkmalpflege im Rheinland) ihren Vortrag nicht halten. Dipl.-Ing. Reiner Nagel (Vorstandvorsitzender Bundesstiftung Baukultur) sprang spontan mit einem Kurzreferat ein. Er stellte zunächst die von der Bundesstiftung Baukultur zusammengetragenen Daten zum Thema Kirchenumnutzung vor. Nagel plädierte dafür Kirchengebäude sowohl aufgrund ihres baukulturellen Wertes, als auch aufgrund der in ihnen gebundenen Ressourcen zu erhalten und umzubauen. Die folgende Paneldiskussion wurde von Prof. Dr. Stefanie Lieb moderiert. Als Diskussionspartnerin war neben Prof. Dr. Barbara Welzel und Dipl.-Ing. Reiner Nagel auch Dr. Kerstin Menzel (TRANSARA, Institut für Praktische Theologie, Universität Leipzig) dabei, die die Runde um die theologische Perspektive und die Frage nach der Aufgabe der Kirchen in Bezug auf die Transformation ihrer Sakralräume erweiterte.

Im vierten Panel „Internationale Einblicke – Potenziale im Quartier – Was kann ‚Kirche neu‘ erreichen?“ begann Christopher D. Turner (Direktor Denham Wolf, USA) mit der Key Note und berichtete über die Situation von Kirchenimmobilien in Manhattan, New York. Die Koordinaten in den USA für Kirchenumnutzungen sind zwar aufgrund der weitaus größeren Vielfalt unterschiedlicher religiöser Nutzer und den gemäßigteren denkmalpflegerischen Auflagen etwas anders, es zeigte sich jedoch, das auch hier jede Kirchenimmobilie ihre spezifische Konditionen mit sich brachte und jedes Mal eine individuelle ökonomische Einschätzung, auch hinsichtlich des sozialräumlichen Umfeldes und der Motivation der neuen Nutzer, notwendig war. Prof. Dr. Heike Oevermann (Denkmalpflege, Universität Bamberg, Bauhaus-Universität Weimar) stellte nachfolgend ihre wissenschaftliche Forschung zur „synchronen Diskursanalyse“ im Hinblick auf Transformationsprozesse bei Baudenkmälern im städtebaulichen Kontext vor. Oevermann hatte bereits 2012 bei einem DFG-Forschungsprojekt diese Diskursanalyse-Struktur für den Umgang mit der Transformation des Weltkulturerbes Zeche Zollverein in Essen entwickelt und stellte nun die Frage, ob diese Methode nicht vielleicht auch in modifizierter Form auf die anstehenden Kirchentransformationen übertragbar sei. Daran anschließend berichtete Dipl.-Ing. Barbara Vogt (White Arkitekter, Stockholm) von einer Masterplanung eines neuen Wohnquartiers im norwegischen Lund, bei der die historische Kathedrale als baulicher, aber auch ideeller Fixpunkt mit einer spirituellen Zeitdimension und einem ökologischen Ansatz mit einbezogen wird. Die abschließende Paneldiskussion „Kirche als Mittelpunkt des Quartiers – schlummernde Potenziale für Umnutzungsansätze?“, moderiert von Sabine Georgi (ULI Germany, Austria, Switzerland), brachte neue Diskussionspartner aus den Bereichen des wirtschaftlichen und kirchlichen Immobilienmanagements zusammen. Dennis Beyer (Ev. Immobilienverband Deutschland e.V.), Sarah Dungs (Greyfield Development GmbH), Prof. Dr. Heike Oevermann, Franziska Plößl (IREBS Immobilienakademie GmbH) und Dr. Walter Zahner (Stellv. Leiter Seelsorge im Bistum Regensburg) konnten sich trotz unterschiedlicher Ausgangspunkte auf grundsätzliche gemeinsame Perspektiven verständigen: Um eine Kirche im Quartier nachhaltig und sinnvoll transformieren zu können, brauche es die Motivation und Kreativität aller Beteiligten, es wäre aber auch eine anfängliche Analyse der Situation und der jeweiligen Diskurse aller Akteure mit ihren Bewertungsmaßstäben vonnöten. Erst, wenn das alles berücksichtigt und kommuniziert werde, können stadträumlich wirksame Kirchentransformationen mit Gewinn für alle Beteiligten gelingen. Beim kurzen Abschlussfazit betonte Prof. Dr. Sven Bienert nochmals diesen notwendigen transdisziplinären Blick über den Tellerrand beim Umgang mit der „Immobilie Kirche“.

Der Tagungsbericht stammt aus dem Teilprojekt 3 (Stefanie Lieb, Johanna Oedekoven, Jakob Scheffel, Martina Schmitz)

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